Datengetriebenes Marketing setzt neue Meilensteine in der Online-Branche. Was für viele noch nach Science Fiction klingen mag, ist heute schon realisierbar. Namhafte Koryphäen aus den Forschungsdisziplinen des Neuromarketing, der Neurowissenschaft, Informatik, Ökonomie, Psychologie und Anthropologie (die jedoch aus Datenschutzgründen nicht näher benannt werden dürfen) haben innerhalb der letzten zehn Jahre das menschliche Gehirn – welches lange Zeit als “Blackbox” galt – decodiert und eine Technologie für die Werbewirtschaft entwickelt, welche die Branche disruptiv verändern wird. Die Rede ist vom Targeting auf menschliche Emotionen.

Warum sollte man Emotionen targeten in Echtzeit wollen?

Oft wird unter den Akteuren der Marketing-Branche geweissagt, man müsse seine potentiellen Kunden erst kennen und verstehen, um sie für die eigene Marke überzeugen zu können. Doch um neue Kunden gewinnen zu können, bedarf es einer Fähigkeit von Werbetreibenden, die im digitalen Zeitalter oft untergeht: Empathie. Empathie beschreibt laut dem Duden die “Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen”.


Erst wenn man sich in eine Person hineinversetzen kann, ist man in der Lage, die Bedürfnisse eben dieser zu verstehen und zu erkennen.
Diese Erkenntnis hat auch das Neuromarketing verstanden und in den letzten Jahren eine Targeting-Technologie für datengetriebenes Display-Advertising entwickelt, die den aktuellen Gefühlszustand einer Person in Echtzeit berücksichtigt: das Emotional Reaction Targeting (ERT).

buntes Bild mit Menschen auf Brücke und Trichter in unterschiedlichen Farben

Die richtige Emotionsmessung zum richtigen Zeitpunkt kann potenzielle Zielgruppen in kaufbereite Kunden konvertieren.
Bildnachweis: Feodora Chiosea/istockphoto.com

Das grundlegende Problem von Werbebotschaften ist oftmals, dass die rezipierende Person in einem suboptimalen Gefühlszustand angesprochen wird. Warum sollte man eine Person für seinen Online-Shop begeistern, wenn diese gerade ganz und gar nicht in Shopping-Laune ist? Im Umkehrschluss hat dies erhöhte negative Auswirkungen auf die Performance von Display-Kampagnen. Das gängige Persona-Konzept zur Definition der Zielgruppen zeigt hier leider sehr große Streuverluste, da der Gefühlszustand in keinster Weise berücksichtigt wird.

Was bisher gemessen werden kann: Beispiele aus dem Alltag

Zum besseren Verständnis haben die gängigen Data Management Platforms (DMPs) eine Auswahl ihrer verfügbaren Datensegmente veröffentlicht. Hier sind einige Gefühlszustände, die mit dem Targeting in Realtime bereits identifiziert werden können:

  • Person hat schlecht geschlafen / ist mit dem falschen Fuß aufgestanden
  • Person hat erhöhte Dopaminausschüttung (“Glückshormon”)
  • Person verspürt sexuellen Trieb
  • Person ist in Kauflaune
  • Person fühlt sich einsam
  • Person hat Hunger / Durst
  • Person ist im Stress

Auf Grundlage dessen ist es sehr einfach möglich, den aktuellen emotionalen Zustand zu messen und in Kategorien einzuordnen.

fünf Smileys vor weißem Hintergrund in unterschiedlichen Farben und Emotionen

Beispielbild einer Emotionsskala im Kampagnen-Targeting.
Bildnachweis: Ksenia Omlchenko/istockphoto.com

Von “highly angry” bis hin zu “super happy” kann mit Hilfe eines Schiebereglers die jeweilige Zielgruppe im Kampagnen-Setup eingestellt werden.

Das Targeting kann natürlich auch für das Blacklisting genutzt werden. Wenn sich beispielsweise ein User im gestressten Zustand befindet, ist er deutlich weniger aufnahmefähig für Online-Werbung. So verpufft der Werbeeffekt und kann sich im schlimmsten Fall sogar ins Negative drehen, sodass die Werbung zu ungewollten Assoziationen gegenüber der beworbenen Brand führen kann. Doch auch solche Gefühlszustände können aus der Marketing-Perspektive für manche Unternehmen lukrativ erscheinen. Zum Beispiel beim Vertrieb von Stressbällen.

Wie erfolgt die Datenermittlung & Datenverarbeitung?

Die Messung von Emotionen war noch vor zehn Jahren nur mit großflächigen EEG- und MRT-Geräten in einem geschlossenen Labor möglich. Dazu wurden Hirnregionen analysiert, die für das Auslösen bestimmter Emotionen beim Menschen verantwortlich sind. Mittlerweile kann man sagen, dass beinahe jede Person in seinem oder ihrem Haushalt ein Gefühlsmessgerät besitzt. Gemeint sind hiermit natürlich Smartphones, Tablets, Desktop-PCs und sämtliche internetfähigen Endgeräte. 

Jede Person nutzt je nach Gemütszustand sein oder ihr onlinefähiges Device unterschiedlich. Infolgedessen offenbart er oder sie indirekt seine/ihre Nutzungsverhalten während des Surfens. Diese Verhaltenseigenschaften werden wiederum durch eine Reihe von Emotionen determiniert und können dadurch geclustert werden. 

Die Zustände von Emotionen werden anhand verschiedener deterministischer und probabilistischer Daten first, third & fourth Party Daten ermittelt.

Das sind die wichtigsten Quellen zur Datenverarbeitung:

  • Gesichtsausdruck des Users
  • Anzahl ausgesprochener Schimpfwörter pro Minute
  • Mausbewegungen
  • Eyetracking
  • Klick- und kapazitives Touchscreenverhalten 
  • Surfverhalten in Echtzeit
  • Motion-Capturing
  • Beacon-Technologie
  • aktuelles Tierkreiszeichen
  • Fußballergebnisse
  • Mondphasen
  • Wetterlage
  • GSM 4G & 5G Movement Data

Für ein exaktes Emotion-Tracking muss sowohl der Zugriff auf die Kamera, als auch auf das Mikrofon erlaubt sein.

bunte Grafik mit gezeichneten Menschen und Elementen

Die Datenermittlung erfolgt crossdevice- sowie cloudbasiert über sämtliche digitale Touchpoints hinweg. Bildnachweis: z_wei/istockphoto.com

Hier werden Big Data KI gesteuert mit Machine Learning in verschiedenen Rechenzentren cloudbasiert redundant gehostet und verarbeitet. Die Daten werden in Realtime via Hochleistungs-API an die SSP übergeben, um den Anforderungen im Real Time Bidding gerecht zu werden. 

Qualitätssicherung der Gefühlsmessung mit 1,21 Gigawatt

Um die Schwächen des Emotional Reaction Targetings weitestgehend zu minimieren werden hochkomplexe Rechenleistungen mit Hilfe von Supercomputern angewandt, auf denen unstrukturierte Echtzeitdaten mithilfe von Big-Data Technologien zusammengeführt, verarbeitet und gespeichert werden. Als Endprodukt sollen hierbei für den Menschen verständliche Metriken zur Analyse und Bewertung der gesammelten Daten vorliegen.

Ein plastisches Beispiel ist der epm (emotions per minute): Nutzer, die besonders häufig Gefühlsschwankungen während ihrer Tagesroutine aufweisen sind für ein exaktes Targeting sehr anfällig. Sie erhalten – je nach Anzahl der Gefühle, die pro Minute getrackt werden – einen relativ hohen epm und können in Verbindung mit anderen Daten einem bestimmten Cluster zugeordnet werden. Für Marketingverantwortliche bedeutet es demnach, dass Nutzer mit einem hohem epm für ein granulares Targeting ungeeignet sind. Entsprechend würden Kampagnen zu Streuverlusten führen, die jedoch durch modernste Computertechnologie mitberechnet und ausgeschlossen werden können. Doch hier zeigen sich schon einige Schwachpunkte des Systems. Allein der Energieverbrauch zur Berechnung von 1.000 User-Emotionen beträgt derzeit 1,21 Gigawatt.

Datenschutz & Datensicherheit

Datenschutz & Datensicherheit werden großgeschrieben. Es werden keine personenbezogenen Emotionen gemessen. Jegliche Gefühle werden mit einer kryptologischen Hashfunktion anonymisiert und mit in einem DMP Blockchain-Wallet gesichert. Emotionen können dadurch nicht mehr einer eindeutigen Person zugeordnet werden. Somit erfüllt das Emotional Reaction Targeting die derzeitigen DSGVO Richtlinien.

Ausspielung der Werbung

Nun stellt sich die Frage für welche Creative-Typen das ERT geeignet ist. Die Werbung kann zukünftig nicht nur über klassische Banner & Video Placements auf den Gefühlsmessgeräten (Smartphone/Tablet) ausgeliefert werden, sondern auch mittels Multi Crossdevice Customer Journey Tracking auf Desktop-PCs, Adressable TV Devices, DOOH Screens und Online Audio Aggregatoren. Die Möglichkeiten für Online-Marketing-Kampagnen auf unterschiedlichen digitalen Touchpoints sind dadurch nahezu grenzenlos.

Vorstellbar ist folgendes Szenario: Wenn beispielsweise eine Gruppe von Fußballfans nach einem verlorenen Fußballspiel ihrer Mannschaft am Bahnhof die Heimreise antritt, kann hier eine entsprechende Werbebotschaft auf den DOOH Info-Screens für frustrierte Fußballfans ausgespielt werden (Die Emotion “frustriert” wurde zuvor über das Smartphone gemessen). In diesem Falle wäre Werbung für ein nahegelegenes Burger-Lokal sinnvoll, das mit einem entsprechenden Angebot zum Frustessen wirbt.

Wie ist die Performance von ERT-Kampagnen zu bewerten und welche Insights geben sie?

Für Online-Marketing Agenturen spielt der ERT im Hinblick auf Performance Kampagnen eine große Rolle und sollte als Teil ihrer DNA einfließen. Dank aufwendiger Prognoseverfahren und Benchmarks mit historischen Daten kann mit dem emotional reaction Targeting ein Uplift von 104 % erreicht werden. Ausgangspunkt dieser Ergebnisse ist die maximale Minimierung von Streuverlusten beim Real-Time-Bidding. Am besten funktioniert das Emotional Reaction Targeting für Digital Natives. Hier können die größten Insights generiert werden, da diese Nutzerschicht oft freiwillig ihre DSGVO-konformen Emotionsdaten preisgibt. 

acht junge Menschen stehen gelehnt vor einer Mauer und schauen auf ihr Handy

Digital natives geben oft freiwillig ihre Daten preis – diese sind auch konform mit der DSGVO, da sie anschließend nicht mehr einer Person zugeordnet werden können.
Bildnachweis: Alessandro Biascioli/istockphoto.com

Dank emotional reaction Targeting ist es möglich, die Customer Centricity weiter voranzubringen. Außerdem können damit innerhalb des Unternehmens Silos eingerissen werden, die in der Vergangenheit große strategische Probleme im Bereich der Online-Werbung mit sich gebracht haben. Demnach ist eine solche Marketingmaßnahme für Unternehmen langfristig eine Chance, sich auf einem wettbewerbsorientierten Markt zu positionieren und Wettbewerbsvorteile auszubauen.

Eure Meinung ist gefragt!

Wir sehen es als höchst wichtig an, die realtime Gefühlszustände der User bei der Online-Werbung zu berücksichtigen. Wie seht ihr das? In welchem Bereich & in welcher Branche seht ihr große Vorteile, wenn ihr die Emotionen targeten könnt?
Konntet ihr in diesem Bereich bereits Skills aufbauen und die User Experience verbessern? Schreibt uns gerne Anregungen oder Fragen zu diesem Thema.

Viele Grüße,

Daniel Datentrieb


April, April: Dein aktueller Gefühlszustand bleibt “vorerst” Privatsphäre

Wir hatten sehr viel Spaß einen Artikel zu einem fiktiven Targeting mit möglichst vielen Buzzwords zu schreiben. Wäre es nicht eher beängstigend, die aktuelle Gefühlslage von Personen in Echtzeit messen und als Basis für das Targeting von Kampagnen verwenden zu können? Auch wenn es mittlerweile eine Vielfalt an datenbasierten Targeting-Optionen gibt, ganz so weit ist es im Programmatic Display (noch) nicht. Erste Ansätze im Bereich der Werbewirkung, die Gefühlslage der Nutzer vorherzusagen und zu nutzen, existieren bereits. Daher ist diese Echtzeit-Targeting Idee, zumindest technisch gesehen, gar nicht so unrealistisch. 

So ist es beispielsweise möglich, Nutzer in Abhängigkeit der aktuellen Wetterlage und des jeweiligen Standortes mit entsprechender Werbung anzusprechen. Die Kampagne würde demnach so eingestellt werden, dass sie Werbung erst dann ausspielt, wenn eine bestimmte Temperatur-Untergrenze erreicht wird (bspw. 25°C) und der Nutzer sich in einem vordefinierten Geo-Standort befindet (eingestellt durch bspw. der Angabe von Längen- und Breitengrad-Koordinaten). So können Märkte in Einkaufszentren an heißen Sommertagen zum Kauf von erfrischenden Kaltgetränken aufmerksam machen.

An dieser Stelle ist ebenso (zumindest theoretisch) eine Kombination mit den herkömmlichen datengetriebenen Targeting-Optionen möglich, wie bspw. soziodemographischen Merkmalen. Damit ist eine gezielte Ausrichtung auf verschiedene Altersgruppen (ausgenommen Kinder und Jugendlich bis einschließlich 17 Jahre), das Geschlecht, Familienstand, das Nettoeinkommen sowie der (aktuelle) geografische Standort möglich. Auch eine Zielgruppenansprache nach Gesellschafts-Typologien gemäß der 10 Sinus-Milieus ist dabei denkbar. Die Sinus-Milieus unterteilen eine Gesellschaft in unterschiedliche Gruppen und ordnen Menschen diesen Gruppen zu. 

Die derzeit in Deutschland lebende Bevölkerung wird beispielsweise anteilig (in %)  in folgende Milieus unterteilt :

Wie genau die einzelnen Milieus definiert sind, kann noch einmal hier nachgelesen werden.

Wer eine Liebe fürs Detail hat, kann seine Kampagne auch auf granulare Zielgruppen ausrichten, zum Beispiel auf Nutzer, die eine bestimmte Markenaffinität aufweisen (hier wären bspw. die Marken von Mitbewerbern von hohem Interesse). Es ist bei dem zuvor beschriebenen Szenario jedoch wichtig zu erwähnen, dass eine zu granulare Ausrichtung auf Zielgruppen oft nicht zielführend ist, da ab einem gewissen Punkt kein Matching der Datensegmente mehr vorliegt und die Werbung gar nicht ausspielen würde.

Die Anzahl an Zielgruppen-Segmenten ist mittlerweile für den Laien nicht mehr überschaubar. Unsere zur Verfügung stehenden Segmente belaufen sich bspw. zurzeit auf über 7.500 und wachsen monatlich (wir behalten dabei natürlich stets den Überblick ;)).

Man muss an dieser Stelle aber auch betonen, dass eine rein datengetriebene Ausrichtung von Performance-Kampagnen mit ausgewählten Zielgruppen-Segmenten mit Vorsicht zu genießen sind. Unsere Erfahrungswerte zeigen, dass eine Kombination aus klassischem Umfeld-Targeting (Ausspielung nur auf bestimmten Webseiten/ Seitenkategorien) in Zusammenspiel mit Daten die besseren Ergebnisse bringen.

Allerdings gilt es für jede neue und auch alte Kampagne: Testen, Testen, Testen. Eine gute Kampagne besteht außerdem nicht nur aus einer guten Grundausrichtung, sondern auch aus der regelmäßigen Optimierung und dem ständigen Hinterfragen der Performance.

Und obwohl wir grundsätzlich datengetriebene Online Werbung schalten, nutzen wir nicht nur datenbasierte Targetings, sondern auch kontextbezogene Targetings in Umfeldern. Beispielsweise sind Webseiten, die ein nachhaltiges und umweltbewusstes Leben thematisieren für unsere Kunden relevant, die genau in diesen Bereichen Produkte und Dienstleistungen anbieten. Gerade in Zeiten von DSGVO, E-Privacy und strengeren Privatsphäre Einstellungen der Browser ist es wichtig, sich nicht nur ausschließlich auf Daten aus dritter Hand zu verlassen.

Es macht auch durchaus Sinn bei der Ausspielung in relevanten Umfeldern die Nutzer zu “markieren” und eigene Daten für die Wiederansprache quasi kostenlos zu sammeln.

Insgesamt kann man sagen, dass wir eher auf einen Mix aus klassischer Mediaplanung und datengetriebener Ausspielung der Werbung verfolgen. Wir kaufen das Werbeinventar von Webseiten in der Regel zwar über eine datengetriebene Media-Einkaufsplattform, also einer DSP (Demand Side Platform) ein und halten die Budgetverteilung flexibel, setzen die Budgets teilweise aber auch gezielt auf bestimmte Umfelder (nach Keywords) und konkrete Webseiten / Unterseiten ein.

Was tatsächlich gar nicht so unrealistisch ist, ist die Möglichkeit die Kampagnen über verschiedene Endgeräte eines Haushalts hinweg auszuspielen. Hier sind gerade Lösungen in der Entwicklung, die nicht nur ausschließlich auf Cookies basieren und auch mit der aktuellen rechtlichen Situation konform sind. So können zukünftig z.B. die Online Kampagnen auch auf Smart TVs und auf Online Audio verlängert werden.

Wie sind eure Erfahrungen mit den verschiedenen Targeting-Ansätzen. Bevorzugt ihr eher daten- oder umfeld basiertes Targeting? Setzt ihr noch auf klassische Mediaplanung oder kauft ihr die Werbung komplett datengetrieben ein?

Und ärgert ihr euch auch über die vielen Buzzwords in der Online Branche? Letztendlich kochen wir alle nur mit Wasser, auch wenn das Wasser bei dem ein oder anderen ein wenig härter ist.

Viele Grüße

Georg & Matthias


Bildnachweis Titelbild: © Gearstd/istockphoto.com