Keine Fans im Stadion, der digitale Kunde nur einen Klick entfernt: Wie sich Fußballklubs wie der BVB ideal als Marke präsentieren, erklärt Patrick Pietruck, Chef der Online-Agentur web-netz.

Dieser Artikel von Jürgen Koers erschien zuerst auf ruhrnachrichten.de (25.03.2021) unter der Headline „Marketing-Experte über BVB: ‚Fantoken sind weit weg für den traditionellen Fan'“

Herr Pietruck, Social-Media-Kanäle werden immer bedeutender. Im Fußball sind die Kicker inzwischen beliebter als ihre Klubs. Wie können die Vereine die Reichweiten ihrer Stars besser nutzen und davon profitieren?

Indem die Klubs ihre Stars besser einbinden in ihre Kommunikation über die sozialen Kanäle. Wir stellen in unseren Analysen immer wieder fest, dass die Posts der Spieler eine viel höhere Reichweite und mehr Interaktion hervorrufen als die Posts der Klubs. Zum Vergleich: Unternehmen aus anderen Branchen zahlen reichweitenstarken Influencern Geld, damit diese ihr Produkt auf Social-Media-Kanälen zeigen. Die Bundesligavereine haben den großen Vorteil, ihre Influencer selbst unter Vertrag zu haben und machen meiner Meinung nach viel zu wenig daraus.

Unternehmen aus anderen Branchen zahlen reichweitenstarken Influencern Geld, damit diese ihr Produkt auf Social-Media-Kanälen zeigen. Die Bundesligavereine haben den großen Vorteil, ihre Influencer selbst unter Vertrag zu haben und machen meiner Meinung nach viel zu wenig daraus.“

Patrick Pietruck, Geschäftsführer web-netz

Die hoch gefragten Topstars sind ein rares Gut.

Nicht nur die Topstars mit besonders großen Reichweiten ab einer Million Abonnenten kommen dafür in Frage. Viele Profis eignen sich hervorragend als Influencer, weil deren Bekanntheit zumindest in der jeweiligen Fan-Landschaft groß ist. Eine Lösung wäre also die bewusste Einbindung der Spieler durch vereinbarte Posts oder Postserien zu bestimmten Themen wie der Präsentation des neuen Trikots. Und zwar auf den reichweitenstarken Kanälen der Spieler, damit die Fans dann anschließend die Kanäle des Vereins besuchen.

Was sollten die Klubs also machen?

Auf dem Kanal des Klubs, zum Beispiel auf Instagram, sollten Fans dank Social Shopping das neue Trikot dann auch, ohne lange suchen zu müssen, direkt kaufen können. Natürlich eignen sich authentische Posts aus dem Trainings- oder Spielbetrieb auch zur digitalen Aktivierung von Sponsorings auf den Kanälen der Profifußballer, indem die Spieler selbst die Produkte des Partners tragen oder einbinden.

Wie können Klubs die unterschiedlichen Kanäle wie Instagram, Twitter oder TikTok nutzen, ohne sich in der Außendarstellung zu verbiegen?

Die Inhalte müssen zum jeweiligen Kanal passen. Die Inhalte gerade auf Instagram und TikTok sind so vielfältig, dass man sich nicht verbiegen muss. Wenn selbst die seriöse Tagesschau es schafft, auf TikTok bei einer jungen Zielgruppe zu landen, dann sollte es den Bundesligavereinen leichtfallen, diese Plattform für sich ergänzend zu den vorhandenen Kanälen zu nutzen. Das enorme Wachstumstempo etwa von TikTok wird durch die Pandemie und damit verbundene Entbehrungen und Lockdown-Szenarien sogar noch verstärkt. Die Menschen haben ein erhöhtes Bedürfnis nach Unterhaltung.

Wenn selbst die seriöse Tagesschau es schafft, auf TikTok bei einer jungen Zielgruppe zu landen, dann sollte es den Bundesligavereinen leichtfallen, diese Plattform für sich ergänzend zu den vorhandenen Kanälen zu nutzen.“

TikTok statt Stadion?

Fußball-Fans müssen leider auf das Live-Erlebnis im Stadion und Besuche beim Training ihrer Lieblingsmannschaft verzichten. Um das Interesse der Fans am Klub und seinen Stars kompensieren bedienen zu können, ist Tik-Tok als Entertainment-Kanal mit Bewegtbild-Clips durchaus prädestiniert.

Das wäre dann der Kanal für eine sehr junge Zielgruppe.

Ähnlich wie im sportlichen Talentwettbewerb, wo die Klubs um die besten Nachwuchskräfte konkurrieren, bietet sich TikTok an, um den Nachwuchs von morgen zu emotionalisieren, sie zu Fans und später zu Klubmitgliedern zu transformieren, Fanprodukte von heute zu promoten oder eine komplett neue Attraktivität für neue Sponsoring-Partner zu kreieren. In jedem Fall eignet sich TikTok ideal, um mit mehrwertstiftenden, humorigen oder mit Spannung geladenen Clips den Klub als Marke über seine kickenden Influencer ideal ins Spiel zu bringen.

Bei Borussia Dortmund zum Beispiel wirkt die Kommunikation für mein Empfinden manchmal gehemmt. Negatives wird so weit wie möglich ausgeblendet. Wie frei können Klubs kommunizieren? Wie authentisch und kreativ darf man sein, wie konform und steril muss man agieren?

Die Art der Kommunikation sollte zum Verein und zum verwendeten Kanal passen. Zu einem FC St. Pauli passt eine andere Art der Kommunikation als zum BVB. Eine kreative und authentische Art der Kommunikation schadet keinem Verein und wird oft belohnt, aber der Verein selbst sollte wissen, was zum Verein, zur Stadt und zu den Sponsoring-Partnern passt. Und die eine Art der Kommunikation schließt die andere nicht aus: Ich kann mich dazu entscheiden, auf Twitter ganz sachliche Informationen und Updates wie Spieltags-Ergebnisse zu teilen und mich auf Instagram und TikTok kreativ ausleben, inklusive Blick hinter die Kulissen oder in die Mannschaftskabine. Aber auch ein Kurznachrichtendienst wie Twitter muss nicht sachlich und emotionslos bleiben: Marken und auch Klubs spielen sich da gern untereinander die Bälle zu. Am besten macht man vorab klar, was die Fans ungefähr auf welchem Kanal erwartet.

Der BVB lässt seine Spieler Turnvideos mit Insta-Sternchen drehen und zeigt eine Kochsendung mit dem Mannschaftskoch. Manche Fußballfans finden so etwas schwer erträglich.

Solche Maßnahmen werden in der Regel ergriffen, um neue Zielgruppen für den Verein zu erschließen. Nicht alle Inhalte können immer allen bestehenden Fans gleichermaßen gefallen, dafür sind Fangruppen auch innerhalb eines Vereins zu unterschiedlich. Deshalb ergeben unterschiedliche Content-Formate auf verschiedenen Kanälen absolut Sinn. Es geht vor allem um Glaubwürdigkeit.

Verspielt man Glaubwürdigkeit nicht mit den oben genannten Beispielen?

Am besten ist es natürlich, wenn du als Verein und Marke so stark bist, dass bekannte Personen freiwillig und von sich aus für dich werben. Zum Beispiel, indem sie ein Trikot des Vereins beim Stadionbesuch tragen und Fotos davon auf ihren Kanälen teilen. Eine bezahlte Kampagne mit Influencern, die zwischen anderen Produkten plötzlich Fanartikel posten, obwohl Fußball sonst nicht stattfindet, käme eher unglaubwürdig rüber.

Eine bezahlte Kampagne mit Influencern, die zwischen anderen Produkten plötzlich Fanartikel posten, obwohl Fußball sonst nicht stattfindet, käme eher unglaubwürdig rüber.“

Wer definiert denn die Zielgruppe? Sind das langjährige Fans, neue Fans, oder potenzielle Kunden?

Vereine sollten versuchen, bestehende und neue Fans gleichermaßen mit ihren Inhalten zu erreichen. Das gelingt am besten, indem abwechslungsreicher Content gespielt wird: Der langjährige BVB-Fan freut sich über einen Rückblick auf das Champions-League-Tor von Lars Ricken oder interessiert sich dafür, was Mats Hummels auf der Fahrt im Mannschaftsbus macht.

Und der neue Fan?

Der neue Fan kommt vielleicht über junge Spieler wie Erling Haaland oder Jadon Sancho zum BVB und freut sich über dessen TikTok-Content. Wenn der Inhalt so gut ist, dass er hohe Reichweiten und Klicks bringt, sollte er für die Kunden und Sponsoren automatisch interessant werden.

Welche Vorteile bietet es, mit digitalen Projekten seine Produkte zu platzieren und zu monetarisieren?

Jede digitale Kampagne ist messbar. Im Vergleich zur Plakat- oder auch Bandenwerbung kann ich sehen, ob sich mein investiertes Budget auszahlt. Wenn also eine Content- und Ads-Kampagne zum Thema neues Trikot anläuft, lässt sich am Ende sehr genau sagen, wie viele Verkäufe diese erzielt hat. Durch eine optimale Aussteuerung zahlt sich eine digitale Kampagne am Ende aus.

Wenn also eine Content- und Ads-Kampagne zum Thema neues Trikot anläuft, lässt sich am Ende sehr genau sagen, wie viele Verkäufe diese erzielt hat. Durch eine optimale Aussteuerung zahlt sich eine digitale Kampagne am Ende aus.“

Was ist bei einem Vorhaben wie dem BVB-Fantoken schiefgelaufen, der erst einen Shitstorm hervorgerufen hat und inzwischen wieder eigestampft wird?

Der BVB-Fantoken sollte ein Testballon für den internationalen Markt sein, daher war die Kommunikation dazu auf Englisch, was schon sprachlich zu weniger Akzeptanz bei den deutschen Fans geführt haben dürfte. Der Fantoken sollte Fans „mehr Nähe“ zum BVB ermöglichen und die Möglichkeit geben, Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen. Fans werden gern vom Klub mit einbezogen in Entscheidungen – aber ohne dafür Geld ausgeben zu müssen. Für die treuen Fans ist der Fantoken ein Zeichen für die weitere Kommerzialisierung des Fußballs und gerade die Ultras, von denen ja heftige Kritik aufkam, sind gegen zu viel Marketing-Wahn. So etwas wie der Fantoken oder auch Bitcoins sind weit weg für den traditionellen Fan.

Beim Merchandising scheint der BVB trotz Lockdown seine Vorjahreszahlen zu erreichen. Wie sehr können Online-Shops im Merchandising die Ausfälle in der Corona-Pandemie auffangen?

Die Online-Shops können die Ausfälle sehr gut auffangen. Aus Gesprächen mit einem anderen Verein wissen wir, dass es möglich ist, ohne Rückgang durch die Krise zu kommen. Vermutlich sind bei vielen Vereinen jetzt andere Merchandising-Artikel gefragter als sonst. Auf dieses veränderte Kaufverhalten sollten die Online-Shops reagieren. Wer nicht ins Stadion kann, braucht keine Fahne zum Schwenken, aber interessiert sich vielleicht für Artikel, die er zu Hause tragen und benutzen kann wie beispielsweise eine Jogginghose und Kaffeetasse seines Lieblingsvereins. Auch Mund-Nasen-Bedeckungen sind gefragt. Einige Klubs haben sich Sonderaktionen einfallen lassen wie ein spezielles Trikot, das über die digitalen Kanäle in Rekordzeit ausverkauft war. Das zeigt, dass es sehr wohl möglich ist, sowohl die eigene Kasse zu füllen als auch soziale Einrichtungen mit speziellen Aktionen aufgrund der Pandemie mit Hilfe der Fans zu unterstützen.

Der BVB nimmt einen mittleren siebenstelligen Betrag mit regionalisierter Bandenwerbung ein. Welche Gedankenspiele gibt es noch?

Digitale Verlängerungen über Online-Marketing sind ein wichtiges Thema für Klubs und ihre Sponsoring-Partner. In Zeiten wie diesen, also ohne Stadionbesuch, ist es noch wichtiger als vorher, mit dem Sponsoring die Fans außerhalb des Stadions und der Spiele über digitale Kanäle zu erreichen, um sichtbar zu bleiben. Wir als Online-Agentur haben das bereits erfolgreich mit Partnern umgesetzt: Durch die Erhebung relevanter Daten an allen digitalen Touchpoints des Klubs, anschließende Anreicherung der Daten, Erstellung geeigneter Werbemittel und Aussteuerung von zielgruppenspezifischen Ads haben wir erhebliche Reichweiten innerhalb der Fans generiert und nachweislich Umsatz für einen Sponsor eines Bundesligisten erzielt, obwohl Umsatz gar nicht das direkte Ziel der Kampagne war. Ziel muss eine zielgruppenfokussierte Ansprache im gesamten Netz sein, ohne Streuverluste. Eine adäquate Ansprache der Fans mit dem Produkt oder der Dienstleistung des Sponsoring-Partners bietet echten Mehrwert – und erspart den falschen Adressaten unpassende Werbung.

Durch die Erhebung relevanter Daten an allen digitalen Touchpoints des Klubs, anschließende Anreicherung der Daten, Erstellung geeigneter Werbemittel und Aussteuerung von zielgruppenspezifischen Ads haben wir erhebliche Reichweiten innerhalb der Fans generiert und nachweislich Umsatz für einen Sponsor eines Bundesligisten erzielt, obwohl Umsatz gar nicht das direkte Ziel der Kampagne war.“

Borussia Dortmund möchte nach eigener Aussage lieber zahlbereite Kunden in aller Welt einfangen als den Fans vor Ort mehr Geld aus der Tasche zu ziehen. Welche Regionen boomen im internationalen Fußball? Wie kann es gelingen, dort Marktanteile zu gewinnen?

Asien und die USA boomen im internationalen Fußball. China will ein Global Player im Fußball werden und eine eigene Weltmeisterschaft ausrichten. Fußball ist nach Basketball die beliebteste Sportart in China. Über 300 Millionen Chinesen konsumieren mindestens einmal wöchentlich Fußball. Und die europäischen Klubs gehen dahin, wo die Fans sind, und eröffnen eigene Büros: Der FC Barcelona in Hongkong und der FC Bayern in Shanghai. Auch der BVB ist in Asien präsent. Das Ziel bei allen ist der Ausbau der Marke und der Ausbau von Partnerschaften vor Ort. Wer ein chinesisches Talent in den eigenen Kader holt, darf darauf hoffen, dass mehr als 300 Millionen von Chinesen einschalten und dafür zahlen, wenn bei uns am frühen Samstagnachmittag und damit durch die Zeitverschiebung perfekt zur chinesischen abendlichen Primetime angestoßen wird. Und darauf hoffen, dass dadurch das Interesse an den eigenen Merchandising-Artikeln steigt.

Das hat dann mit dem Verständnis von Fußballfans hierzulande wenig zu tun. Auch in der Vermarktung nicht, oder?

In Sachen E-Commerce ist in China Alibaba die dominierende Plattform. Mit rein sachlichen Produktbeschreibungen wie in Deutschland kommt man in China aber nicht weit. Gefragt sind ausführliche Beschreibungen, hochauflösende, detaillierte Produktbilder und mehr Interaktion mit dem Kunden über soziale Medien. Das zeigt, dass man sich immer auf die Fan- und Kundenbedürfnisse vor Ort einstellen muss, um Erfolg zu haben.

Wie lassen sich weitere Märkte „ferngesteuert“ erschließen?

Wer Marktanteile gewinnen will, muss durch Medienreichweite und vor allem eigene Reichweite die Fans für sich gewinnen. Das gelingt über digitale Kanäle, zum Beispiel mit wöchentlichen Livestreams und Viewing Partys. Der wichtigste Aspekt sind die Social-Media-Kanäle. Es braucht auf den jeweiligen Markt zugeschnittene Inhalte. Am besten kann das ein Team in der jeweiligen Landessprache leisten. Man muss sich als Klub den Begebenheiten vor Ort anpassen und die anderen Fan- und Kundenbedürfnisse treffen.

Fußball ist Unterhaltung, deshalb stehen die Klubs im In- und Ausland nicht nur in Konkurrenz zu anderen Vereinen, sondern zu allen Angeboten aus dem Bereich Medien und Entertainment.“

Der Fußball muss also überall anders um Aufmerksamkeit buhlen?

Fußball ist Unterhaltung, deshalb stehen die Klubs im In- und Ausland nicht nur in Konkurrenz zu anderen Vereinen, sondern zu allen Angeboten aus dem Bereich Medien und Entertainment. Damit es nicht Fußball oder Netflix heißt, finden sich bei Streamingdiensten wie Netflix und auf Amazon Prime Video immer mehr Dokus und Doku-Serien aus dem Fußball-Bereich, nicht nur von einzelnen Top-Spielern, sondern auch von Mannschaften. Der BVB war ja mit der vierteiligen Doku-Serie „Inside Borussia Dortmund“ schon im Sommer 2019 bei Amazon Prime Video vertreten. Durch solche Dokus und Einblicke über Social-Media-Kanäle lässt sich emotionale Nähe zu Fans herstellen – weit über die Landesgrenzen hinaus.


Kostenlose Online-Marketing-Webinare

Wir bieten jede Woche kostenlos zwei Webinare an. Alle Themen und die nächsten Termine findet ihr auf: web-netz.de/webinare.


Bildnachweis Titelbild: web-netz