Online-Marketing und SEO unabhängig von Google? In Europa im Jahr 2015 vollkommen undenkbar! Allein in Deutschland besitzt die Suchmaschine derzeit einen Marktanteil von etwa 95%. Im Fernen Osten dagegen spielt der Weltmarktführer keine Rolle. Grund genug, sich einmal näher mit den Bedingungen für Online-Marketing in China zu beschäftigen.

Great Firewall of China

Weit über 600 Millionen aktive Internetnutzer gibt es mittlerweile in China, die USA haben gerade einmal 318 Millionen Einwohner! Fast alle Chinesen besitzen einen Account für ein soziales Netzwerk – damit sind zwar immer noch weniger als die Hälfte der Gesamtbevölkerung online, aber die Zahl ist weiterhin steigend.

Online-Marketing-China

Google hat auf diesen Markt quasi keinen Zugriff, da viele Dienstleistungen der Suchmaschine in China blockiert sind. Ruft man etwa die chinesische Seite von Google.cn auf, kann man dort keine Suchbegriffe eingeben, sondern wird auf google.com.hk weitergeleitet. Die Seite in Hongkong unterliegt nicht der Zensur der chinesischen Regierung.

China überprüft und zensiert das gesamte Internet, Suchbegriffe wie „Menschenrechte“ oder „Demokratie“ zeigen nur Treffer an, die den Vorgaben der Kommunistischen Partei entsprechen. Die Maßnahmen, die im Ausland als „Great Firewall of China“ bezeichnet werden (angelehnt an die Chinesische Mauer), lassen sich in der Praxis zwar relativ einfach mit einem Virtuellen Privaten Netzwerk (VPN) umgehen, so dass auch Touristen und Firmen vor Ort Facebook, Google und Co. aufrufen können.

Trotzdem haben die Maßnahmen dafür gesorgt, dass westliche Internetfirmen im chinesischen Markt bisher kaum Einfluss gewinnen konnten. Die chinesische Zensurbehörde hat vor lauter Stolz auf ihre Arbeit sogar eine eigene Hymne veröffentlicht, die dank Orchester- und Choreinsatz wie eine Fanfare aus den StarWars-Filmen daherkommt.

Baidu, Sina Weibo, WeChat!

Ebenso wie Google sind auch andere Riesen wie Facebook und Twitter in China nur eine kleine Nummer. Im Reich der Mitte haben sich andere Marken etabliert, die ausnahmslos aus China selbst stammen und dementsprechend der Zensur unterliegen. Im Gegensatz zu ihren westlichen Konkurrenten werden die eigenen sozialen Netzwerke nicht blockiert.

An dieser Stelle möchte ich Owain Lloyd-Williams danken: Einige der Netzwerke habe ich in seinem Vortrag „Content Marketing for China“ kennengelernt, den er dieses Jahr auf den Content Marketing Masters gehalten hat – thanks for your inspiring speech, Owain!

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Die Suchmaschine Baidu gilt als das chinesische Pendant zu Google. Mit ca. 80% Marktanteil ist sie der größte Lieferant an Informationen. Owain Lloyd-Williams zufolge funktioniert die Optimierung für Baidu im Jahr 2015 noch etwas anders als für Google.

Bei Baidu sind aktuell noch die Meta Descriptions und die häufige Nennung von Keywords ein sehr wichtiger Ranking-Faktor, die OnPage-Optimierung nimmt also einen hohen Stellenwert ein. Baidu ist laut Lloyd-Williams in einigen Punkten auf dem Stand von Google vor ein paar Jahren – weltweit gesehen ist sie jetzt schon die zweitgrößte Suchmaschine.

Auch bei den sozialen Netzwerken haben Firmen, die nicht aus China stammen, keine Chance. Die hiesigen Größen im Land der aufgehenden Sonne sind derzeit QQ, WeChat und Sina Weibo. Facebook wurde in den letzten Jahren noch blockiert, allerdings verstärkt die Firma ihre Bemühungen, in den chinesischen Markt vorzudringen.

Gerade Mark Zuckerberg, der mit der in China verwurzelten Priscilla Chan verheiratet ist, hat mit einem Video aufhorchen lassen, in dem er Fragen auf Chinesisch beantwortet hat.

50.000 Schriftzeichen für einen gelungenen Witz


Kalligraphie

Sina Weibo hat etwa 200 Millionen registrierte Nutzer – nach offiziellen Angaben sind es wesentlich mehr, doch viele Accounts sind bloß registriert und von ihnen geht keine Aktivität aus.

Das Netzwerk wurde 2009 von der Sina Corporation gegründet, Weibo bedeutet übersetzt „Mikroblogging“. Sina Weibo stellt eine Mischung aus Twitter und Facebook dar, man kann sich austauschen und auch Follower haben.

Mittlerweile haben auch Fußballstars wie Thomas Müller einen Account bei Sina Weibo, um die lukrativen chinesischen Märkte noch besser erschließen zu können.

Die meisten Beiträge beinhalten Lloyd-Williams zufolge

  • den speziellen chinesischen Humor, der sich aus der umfangreichen Sprache speist
  • Diskussionen über die chinesische Kultur: Jahrtausende währende Weltanschauungen, Alltagsriten und moderne Kunst
  • Aktuelle Themen und Großereignisse wie Olympia oder die Fußball-Weltmeisterschaft

Unter den Punkt Humor fällt vor allem der Umgang der Chinesen mit ihrer eigenen Sprache. Die chinesische Schrift umfasst ca. 50.000 Schriftzeichen, von denen man mindestens 3000 beherrschen sollte, um die meisten Texte verstehen zu können. 2010 etwa wurde der Sina-Weibo-Account des auch in Deutschland bekannten Künstlers Ai Weiwei gesperrt, alle Nachrichten, die seinen Namen enthielten, konnten von da an nicht mehr erstellt werden. Um dem Diktat der Regierung zu entfliehen, musste man einfach eines der vielen ähnlich aussehenden und klingenden Schriftzeichen benutzen, um die Great Firewall spielerisch auszutricksen.

Als der Boxer Mike Tyson einen Kampf promoten wollte und über seinen Account nach dem besten Kämpfer Chinas suchte, kam als meistgenannte Antwort der chinesischen Nutzer: „The police!“ Wortspiele sind bei Sina Weibo oft humoristischer Protest und eröffnen Diskussionen, die im alltäglichen Leben Chinas nicht möglich wären.

Die Jahrtausende umfassende chinesische Kultur und ihre Traditionen sind auch in den sozialen Netzwerken ein großes Thema. Die sich oft im Untergrund und Subkulturen abspielende zeitgenössische Kunst drängt ins Netz, um sie einer größeren Masse an Menschen zugänglich zu machen. Auch hier gilt: Durch die geschickte Verwendung von Bildern und Zeichen lassen sich offiziell verbotene Inhalte an der Zensur vorbei verbreiten.

Aktuelle Themen sind auf Sina Weibo ebenso wichtig wie etwa bei Twitter. Rund um die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien wurden in China etwa 2 Billionen Interaktionen gezählt. Und auch wenn die Luftverschmutzung in einer der riesigen Städte einmal wieder besondere Ausmaße erreicht hat, ist dies Thema auf Sina Weibo. Beeinflusst durch Diskussionen in den Netzwerken hat es die chinesische Regierung mittlerweile schwer, von der Verschmutzung verharmlosend als „Nebel“ zu sprechen. („Today it’s foggy“).

Mein Fazit

In China ticken auch im Online-Marketing die Uhren noch anders. Keines der umliegenden, asiatischen Länder hat künstlich für ein derartiges Monopol der eigenen Online-Firmen gesorgt – in Indien, Pakistan und Indonesien etwa hat Google schon wieder über 95% Marktanteil. Selbst im Iran und in Saudi-Arabien hat der Suchmaschinenriese ein ähnliches Monopol wie in Deutschland.

Zu denken sollte uns selbst geben, warum Google in Deutschland und vielen anderen Ländern der Welt ein solches Monopol innehat – ganz ohne eine Behörde, die dieses künstlich erzeugt hat. Die Zukunft wird zeigen, ob es Facebook und Co. gelingt, die chinesische Mauer zu überwinden – und inwieweit Firmen wie Baidu und Sina Weibo den Schritt aus China heraus wagen werden.

 

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Quellen der Infografik: statista.de, wikipedia.de, spiegel.de, seo-united.de